Bei vielen Verhandlungen geht es nur ums Gewinnen oder Verlieren. Die Verhandlungspartner bewegen sich dabei wie beim Tauziehen eindimensional vor und zurück. Es scheint nur eine Lösung zu geben, bei der zwangsläufig einer gewinnt und einer verliert. Dabei existieren meistens Alternativen, die für alle Parteien von Vorteil sind. Deshalb entwickeln erfolgreiche Verhandler laut dem Harvard-Konzept immer mehrere Wahlmöglichkeiten, bevor es zu einer Entscheidung kommt. Lesen Sie hier, wie Sie kreative Lösungen finden.
Welche Denkweisen die Entwicklung von Alternativen behindern
Die wenigsten Verhandlungspartner gehen ergebnisoffen in eine Verhandlung, also ohne bereits eine vorgefertigte Lösung in petto zu haben. So ist es auch zu erklären, dass die Beteiligten dann lediglich darauf fokussiert sind, um Positionen zu feilschen und dem anderen Kompromisse abzuringen. Es gibt zahlreiche Gründe, warum es den Konfliktparteien nicht gelingt, alternative Entscheidungsmöglichkeiten zu entwickeln:
Viele Verhandlungspartner haben das Ziel, schnell eine Entscheidung herbeizuführen, die möglichst ihrem Standpunkt sehr nahe ist. Da erscheint es als sehr zeitraubend, in einer Verhandlung gemeinsam mehrere Wahlmöglichkeiten zu entwickeln. Zudem befürchten manche Verhandlungspartner, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie Offenheit signalisieren und nicht konsequent auf ihrem Standpunkt beharren.
Eigene Zweifel und Unsicherheiten führen dazu, dass Verhandlungspartner im Inneren oft ein vorschnelles Urteil fällen. So lassen sich natürlich schwer neue Ideen entwickeln. Auch die Anwesenheit der „Gegenseite“ blockiert viele Verhandler in ihrem Einfallsreichtum. Schließlich möchte sich niemand mit seinen Vorschlägen eine Blöße geben.
Generell gehen viele Menschen davon aus, dass es nur eine Entweder-Oder-Entscheidung gibt. Der Verhandlungsgegenstand ist also sehr begrenzt und jegliche Offenheit gilt als Zugeständnis an die „Gegenseite“.
Jede Partei ist auf ihren Vorteil bedacht und hat nur die eigenen Interessen im Blick. Um kluge, langfristige Einigungen zu erzielen, müssen allerdings auch die Interessen der anderen Beteiligten Berücksichtigung finden. Das bedeutet kein „Verrat“ an sich selbst.
Trennen Sie Ideenfindung und Bewertung
Da eine vorschnelle Beurteilung nicht förderlich ist, um neue Optionen zu entwickeln, gilt es, die Ideenfindung von der Bewertung zu trennen. Gut geeignet ist dafür ein Brainstorming. Am besten versammeln Sie Ihnen vertraute Personen zur gemeinsamen Entwicklung von Ideen. Jeder darf sich dabei angstfrei und ungezwungen äußern. Es erfolgt noch keine Bewertung der einzelnen Vorschläge. Fünf bis acht Personen sind meistens ein gutes Maß für die Gruppe, die weder zu groß noch zu klein sein sollte. Zudem benötigen Sie einen Moderator, der auf die Einhaltung der Regeln – zum Beispiel keine Bewertung der Ideen – achtet und durch Fragestellungen das Brainstorming anregt. Er notiert auch alle Ideen gut sichtbar, etwa auf einem Flipchart. In einem nächsten Schritt filtert die Gruppe die Ideen heraus, die am aussichtsreichsten erscheinen und entwickelt sie weiter. Sie können auch zusammen mit dem Verhandlungspartner ein Brainstorming machen, auch wenn das freie Denken dann schwerer fällt. Schließlich könnte die Gegenseite Ihre Vorschläge als Angebot interpretieren und Sie darauf festlegen. Dennoch kann sich das gemeinsame Brainstorming als sehr wertvoll erweisen. Wichtig ist, dass Sie die Entwicklung der Alternativen von der eigentlichen Entscheidung trennen.
Ändern Sie für mehr Wahlmöglichkeiten die Perspektive
Neben dem Brainstorming können Sie auch einen Perspektivwechsel nutzen, um vielfältige Entscheidungsoptionen zu entwickeln. Stellen Sie sich dazu vor, wie verschiedene Experten Ihr Problem betrachten würden. Welche Möglichkeiten würde etwa ein Bankier, Rechtsanwalt oder Sozialarbeiter in Erwägung ziehen? Indem Sie sich in andere Rollen versetzen, können Sie Ihr Problem aus verschiedenen Blickwinkeln beurteilen und weitere Ideen zur Problemlösung finden.
Wenn die vorliegenden Optionen noch zu keiner Einigung führen, ist es empfehlenswert, eine Art Zwischenstufe einzuführen. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine vorläufige Übergangslösung statt um eine dauerhafte Übereinkunft handeln, um eine Einigung über das Lösungsverfahren statt um eine Einigung über den Verhandlungsgegenstand oder um eine partielle Übereinkunft statt um eine umfassende Lösung.
Gemeinsame und unterschiedliche Interessen: Beides kann zu einer Einigung beitragen
Eine Einigung wird nur von Dauer sein, wenn die Interessen aller Beteiligten bedient werden. Gemeinsame Interessen scheinen eine Übereinkunft zu erleichtern. Auf den ersten Blick mag es womöglich so aussehen, als ob Sie keine gemeinsamen Interessen mit Ihrem Verhandlungspartner haben. Doch gibt es sie bei jeder Verhandlung – wenn auch durchaus sehr verborgen. Ist der Erhalt der Beziehung zueinander vielleicht eine Gemeinsamkeit? Oder gibt es allgemeine Prinzipien, zum Beispiel faire Preise, die Sie mit Ihrem Verhandlungspartner teilen? Formulieren Sie diese gemeinsamen Interessen konkret als gemeinsame Ziele. Das wird auch die Verhandlungen freundlicher und entspannter gestalten. Zudem sind unterschiedliche Interessen nicht immer problematisch, sondern können zur Lösung führen. Vielleicht müssen Sie den „Kuchen“, also den Verhandlungsgegenstand, nicht in der Mitte teilen, wenn unterschiedliche Bestandteile für Sie und Ihren Verhandlungspartner interessant sind. Deshalb ist es entscheidend, die gegenseitigen Interessen herauszufinden, um kreative Lösungen entwickeln zu können.
Es gibt nie nur die eine „richtige“ Lösung. Wenn Sie zum Beispiel durch Brainstorming oder einen Perspektivwechsel verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten entwickeln, erhöhen Sie die Chance für eine Einigung mit Ihrem Verhandlungspartner.
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